Bundesgericht bestätigt Nulltoleranzregel für den Konsum von Cannabis im Strassenverkehr
16. September 2021
Mit Entscheid vom 23. Juni 2021 (BGer 6B_282/2021) bestätigt das Bundesgericht die bisherige Rechtsprechung bezüglich der Nulltoleranzregel für den Konsum von Cannabis im Strassenverkehr.
So wird gemäss Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer trotz Fahrunfähigkeit ein Motorfahrzeug führt. Als fahrunfähig gilt, wer unter anderem wegen Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluss «nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt» (Art. 31 Abs. 2 SVG). Massgebend für eine solche Beurteilung sind die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte. Sobald die entsprechende Konzentration im Blut bzw. Atem vorhanden ist, wird «unabhängig von weiteren Beweisen und individueller Verträglichkeit» Fahrunfähigkeit angenommen (Art. 55 Abs. 6 lit. a und Abs. 7 lit. a SVG).
Man unterscheidet hierbei zwischen Bestimmungs- und Wirkungsgrenzwerten:
- Bestimmungsgrenzwert: Dieser definiert, ab welcher Konzentration eine Substanz zuverlässig qualitativ in einer Probe festgestellt werden kann.
- Wirkungsgrenzwert: Dieser bestimmt, ab wann mit einer relevanten Einschränkung der Fahrfähigkeit gerechnet werden muss.
Während es sich bei den für Alkohol geltenden Grenzwerten um Wirkungsgrenzwerte handelt, hat man sich bei Betäubungsmitteln für Bestimmungsgrenzwerte entschieden. Bei Tetrahydrocannabinol (THC, Cannabis) liegt der Wert bei 1.5 µg/L, was im Vergleich zu den anderen Betäubungsmitteln, bei denen die Fahrunfähigkeit erst ab einem Messwert von 15 µg/L angenommen wird, relativ tief ist (Art. 55 Abs. 7 lit. a SVG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 lit. a VRV i.V.m. Art. 34 VSKV-ASTRA).
In der Literatur wird diese Wahl zugunsten des Bestimmungsgrenzwertes teilweise damit kritisiert, der Bundesrat und das Bundesamt für Strassen hätten ihre delegierten Rechtsetzungsbefugnisse überschritten. Mit derselben Begründung wird im vorliegenden Fall das Urteil der Vorinstanz angefochten. Das Gesetz sehe Wirkungsgrenzwerte vor und der geltende THC-Grenzwert sage nichts über die Wirkung der Substanz aus. Das Bundesgericht verweist an dieser Stelle auf zwei seiner älteren Urteile (BGer 6B_136/2010 vom 2. Juli 2010 und BGer 1C_862/2013 vom 2. April 2017), in welchen es sich bereits dazu äusserte, dass die übertragenen Kompetenzen nicht überschritten worden seien. Zudem wies es darauf hin, dass gemäss Rechtsprechung «keine gesicherten wissenschaftlichen Daten» vorlägen, die eine Korrelation zwischen der Konzentration von Cannabis und deren Einfluss auf die Fahrfähigkeit darlegen würden. So könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese beiden Parameter analog zueinander abnehmen. Im Gegenteil könne sich das Betäubungsmittel auch erst in einem Zeitpunkt am stärksten auf die Fahrfähigkeit auswirken, in welchem der im Blut nachweisbare THC-Wert bereits erheblich tiefer sei. Im Gegensatz dazu lägen zum Konsum von Alkohol fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Dies rechtfertige eine Ungleichbehandlung der beiden Substanzen.
Als weitere Begründung für eine Nulltoleranzregel in Bezug auf Cannabis nennt das Bundesgericht die auch in der Literatur bestätigte historische Auslegung des Art. 55 Abs. 7 lit. a SVG. So sprach sich der Bundesrat bereits in der Botschaft zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 31. März 1999 zugunsten eines Nullgrenzwerts aus. Und selbst wenn Alternativen zur Regelung von Cannabis im Strassenverkehr möglich seien, führe dies aufgrund des Ermessens des Bundesrates nicht dazu, die geltenden Bestimmungsgrenzwerte als willkürlich betrachten zu müssen.
Das Urteil, welches einen Schuldspruch wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand, mit einer im Blut nachweisbaren Cannabis-Konzentration von 4.4 µg/L, vorsah, wurde vom Bundesgericht aus diesen Gründen nicht beanstandet. Die Beschwerde wurde abgewiesen.
Verfasserin: Alissa Künzle, Sommerpraktikantin